Man nehme eine Portion Heimatverbundenheit, große Rucksäcke voll gepackt mit Zelt, Schlafsäcken, Kocher, Trekkingmahlzeiten und was man sonst noch so braucht, um 15 Tage lang nichts zu vermissen. Stef und ich haben uns diesen Sommer vorgenommen, einmal nicht außer Landes Urlaub zu machen, sondern direkt von zu Hause aus im schwäbischen Reutlingen gen Nesselwang im Allgäu zu wandern – und zwar auf dem Schwarzwald-Schwäbische-Alb-Allgäu-Wanderweg, kurz dem HW 5. Er ist einer von zehn Hauptwanderwegen, die der Schwäbische Albverein in den letzten Jahrzehnten quer durch Baden Württemberg angelegt hat. Den wollen wir, hier in Schwaben geboren und aufgewachsen, nun testen.
Der HW 5 führt von Pforzheim über Tübingen, Biberach zur höchsten Erhebung des früheren Königreichs Württemberg, dem Schwarzen Grat auf der Adelegg, 1.118 m. Sieben unterschiedliche Landschaften durchstreift dieser Weg: Schwarzwald, Gäu-Ebene, Keuperwälder, Albvorland, Schwäbische Alb, Oberland und Voralpen. Immer wieder taucht in der Ferne eine Kette von Bergen oder Höhenrücken auf. Auch geschichtlich und kunstgeschichtlich bedeutsame Stätten liegen am Weg: Weil der Stadt, Herrenberg, Tübingen mit Bebenhausen, das Große Lautertal mit seinen Ruinen, Biberach, die ehem. Wallfahrtskirche Steinhausen und gegen Ende die ehemals freie Reichsstadt Leutkirch und eventuell noch weiter nach Isny. Wir „steigen erst in Reutlingen zu“ und lassen den 3-tägigen Schwarzwälder Teil aus. Dafür wandern wir nach Ende des HW 5 auf dem Schwarzen Grat weiter bis nach Nesselwang im Allgäu.
Bei starker Bewölkung starten wir von zu Hause aus, schwer bepackt, und nehmen gleich die ersten Höhenmeter in Angriff. Da wir direkt am Albtrauf wohnen, geht es für uns gleich knackig hinauf auf einen unserer „Hausberge“, den Georgenberg (602 m), sofort wieder hinunter ins Tal nach Pfullingen und gleich wieder hinauf zum Schönberg (793 m) mit seinem Aussichtsturm, genannt „D'Onderhos“ wegen seiner dem Kleidungsstück ähnelnden Architektur. Trotz der starken Bewölkung und des immer wieder einsetzenden Regens genießen wir die Sicht von dort oben und lassen uns nicht verprellen, gleich zu Beginn mit solch einem Wetter wandern zu müssen. Weiter geht es nun oben auf der Alb vorbei am beliebten Kletterfelsen Wackerstein, den Gießstein bis zum historischen Schloss Lichtenstein aus dem 19. Jahrhundert, wo wir nicht allzu weit entfernt, inzwischen im strömenden Regen, unser Zelt aufschlagen.
Nach einer außen sehr nassen, im Zelt aber zum Glück trockenen und warmen ersten Nacht, machen wir uns voller Elan auf unseren Weg. Unsere ersten Etappen führen uns über die Schwäbische Alb. Wir befinden uns nun auf der „Hochfläche“ der Alb und passieren viele kleine Dörfer, wandern über Engstingen zum Sternberg mit Aussichtsturm bis Gomadingen.
In weiser Voraussicht haben wir ein paar „Notreservere-Trekkingmahlzeiten“ eingepackt, da wir unsere Gegend kennen und es hier sehr viele Dörfer ohne jegliche Einkaufsmöglichkeit gibt. Jedoch versuchen wir es in dem einen oder anderen Ort und fragen nach einem Laden. Die Antworten sind meist ähnlich: Entweder kommt nur einmal in der Woche ein Bäckerwagen (natürlich nicht an dem Tag, an dem wir das Dorf passieren ...) oder die noch motorisierten Bewohner müssen ins nahe gelegene Münsingen fahren, um sich hier einzudecken.
Wir wandern langsam durch die abwechslungsreiche Landschaft und kommen nun von der Albhochfläche ins wunderschön gelegene Große Lautertal, bekannt durch die bei Kanufahrern beliebte Lauter, aber auch berühmt für seine unzähligen Burgruinen und Wacholderheiden. Wir streifen durch Wälder, an Ruinen vorbei, direkt an der Lauter entlang bis zum Wanderheim des Schwäbischen Albvereins, der hoch über dem Lautertal gelegenen Burg Derneck. Hier gönnen wir uns eine Übernachtung in einem Bett und nutzen die Unterkunft zum Wäschewaschen, Relaxen und Aussicht genießen. Wir zwei sind in der Nacht die einzigen Gäste!
Unsere Strecke führt uns wieder hinunter ins Lautertal, vorbei an einem kleinen historischen Schneckengarten (Ja, so etwas gibt es!), in dem man doch einiges über diese uns oft lästigen Tiere erfährt. Wir wandern nun unten im Tal dem Klosterstädtchen Obermarchtal entgegen. Die eindrucksvolle Klosteranlage mit ihren beiden Türmen fällt einem schon aus weiter Ferne ins Auge. Sie ist die einzige architektonisch in sich geschlossene, komplett erhaltene barocke Klosteranlage Oberschwabens. Ja, und hier merken wir auch schon, wie sich die Landschaft verändert und ab Obermarchtal alles ein wenig flacher wird, die Landschaft ins sanft hügelige wechselt.
Häufig werden wir auf unserem Weg angesprochen, vornehmlich in den unzähligen an unserer Strecke liegenden Dörfern. Bewohner sprechen uns auf der Straße an, fahren gar mit dem Fahrrad hinter uns her, um zu erfahren, wohin wir denn mit solch großen Rucksäcken wandern. Diese kleinen Unterhaltungen machen unsere Wanderung auf jeden Fall komplett und wir sprechen mit vielen netten Menschen, die uns auch immer wieder Tipps für einen kleinen Abstecher oder für eine Streckenänderung geben, damit wir das eine oder andere Highlight der Gegend oder einen tollen Aussichtspunkt nicht verpassen. Oftmals tatsächlich Gold wert, denn des öfteren verläuft der HW 5 leider auf Asphalt, was mit unseren schweren Rucksäcken nicht gerade die entspannteste Art zu wandern ist.
Oberschwaben durchqueren wir über den Bussen mit Aussichtsturm, von dem man bei normalerweise klarer Sicht die Alpen erblicken kann. Wir haben leider wie so oft diesiges Wetter und erhaschen nur einen Blick bis zum Federsee. Bis kurz davor führt uns dann diese an dem Tag anstehende Etappe und wir zelten oberhalb von Ahlen mit herrlichem Blick auf den See. Abends klart der Himmel auf und wir sehen dann doch noch zum ersten Mal im leichten Dunst die Voralpen.
Biberach an der Riß steht als nächster 1 1/2-tägiger Besichtigungszwischenstopp an und wir nutzen die Gelegenheit, eine nette kleine Unterkunft in Anspruch zu nehmen. Die Kreisstadt Biberach ist klein und beschaulich. Herrlich die Altstadt! Wir bleiben also nicht faul in unserer Unterkunft, um unsere Füße zu schonen, sondern „wandern“ auch hier fleißig durch die Stadt und erkunden die schönen alten Gassen.
Oberschwaben meint es gut mit uns, denn durch die mäßig hügelige Landschaft kommen wir recht schnell voran – die Höhenmeter halten sich in Grenzen. Nicht weit von Biberach passieren wir das kleine Örtchen Steinhausen, bekannt durch seine ehemalige Wallfahrtskirche, die den Titel „Schönste Dorfkirche Deutschlands“ trägt. Die Bewohner Steinhausens bezeichnen sie allerdings als schönste Dorfkirche der Welt. Der Stolz ist schon groß!
Über Winterstettenstadt und Hittelkofen kommen wir nach Bad Wurzach, bekannt nicht nur als Kurort, sondern auch durch das Wurzacher Ried. 1989 wurde das Wurzacher Ried als eines der größten noch intakten Hochmoorgebiete Mitteleuropas erstmals mit dem Europadiplom ausgezeichnet. Über 700 Pflanzenarten und mehr als 1.500 verschiedene Tierarten findet man hier.
Nach Bad Wurzach, vorbei am Schloss Zeil, von dessen Aussichtspunkt wir ein wenig Voralpenland erahnen können, folgt die ehemals freie Reichsstadt Leutkirch mit netter Altstadt. Wir befinden uns jetzt tatsächlich schon im Allgäu und merken spürbar: Die Hügel werden wieder höher. Wir freuen uns, unserem Ziel schon so nahe zu sein. Hinter Leutkirch wagen wir trotz Frostnächten eine weitere Nacht im Zelt, allerdings dieses Mal regulär auf einem Campingplatz. Wir werden von der Campingplatzbesitzerin entsetzt gefragt, ob wir tatsächlich zelten wollen, denn in der Nacht zuvor hätte es so um die -2 °C gehabt. Ja, wir wollen! Herrlich liegt der kleine Platz kurz vor Beuren am Badsee. Ein strahlend blauer Himmel verabschiedet sich abends, ein sternenklarer taucht auf. Tatsächlich ist es wieder eine knackigkalte Nacht unter Null (außerhalb des Zeltes, unsere Schlafsäcke sind molligwarm) und wir klopfen morgens etwas Eis von unseren in der Apsis liegenden Rucksäcken. Besorgte Dauercamper bieten uns am nächsten Morgen ihr beheiztes Wohnwagenvorzelt zum Frühstücken an, nachdem sie uns beim Gang zu den Waschräumen in voller Montur mit Mütze und Handschuhen draußen Kaffeeschlürfen sehen. Wir lehnen lachend ab und genießen die Sicht auf den See, von dem der Morgennebel mystisch aufsteigt.
Wir haben es eilig! Der Schwarze Grat, das eigentliche HW-5-Ende liegt vor uns und wir wandern durch Beuren, vorbei am Schloss Rimpach, Ellmeney und der Zengerlesalpe-Kapelle hinauf zum Aussichtsturm des Schwarzen Grates, gelegen auf 1.118 m. Schnell stellen wir am Fuß des Turmes unsere Rucksäcke ab und steigen die Stufen nach oben – wir wollen unbedingt die Alpen sehen. Dies blieb uns ja an unserer Strecke mehr oder weniger verwehrt trotz mehrerer Aussichtspunkte. Nun stehen wir oben, der Himmel ist stark bewölkt. Bei klarer Sicht kann man die Zugspitze, die Nagelfluhkette und gar bis zu den Schweizer Bergen sehen. Wir haben nur einen Blick auf die Allgäuer „Kleinberge“, freuen uns aber trotzdem über die nun bergige Landschaft. Der HW 5 ist hier zu Ende, wir aber wandern weiter bis ins Allgäuer Nesselwang.
Unser Weg führt uns über eine schöne Strecke durch Wengen, über den Höhenrücken Sonneneck bis zum Niedersonthofner See, wo wir noch eine Zeltnacht einlegen. Von dort aus nehmen wir Endspurt vorbei an Martinszell, dem Rottachsee bis wir hoch zur Ellegghöhe (1.136 m), einem aus der vergangenen Eiszeit entstandenen Moränenhügel, gelangen. Er trennt das Tal von Nesselwang, Pfronten und Wertach vom Rottachsee. Wir stehen oben und jubeln! Nach beiden Seiten Sicht und vor allem auf die Berge rund um Nesselwang und Wertach. Man sieht den Grünten, die Alpspitze, den Edelsberg und die Reuter Wanne. Den Sorgschrofen und sogar den im Tannheimer Tal und in Österreich liegenden Einstein. Wir sind in Hochstimmung und nehmen unser letztes Stück Weg fast im Fliegen. Es geht über Mittelberg-Oy und am Grüntensee vorbei, bis wir endlich nach 15 Tagen Wanderung vor unserem Ziel, unserem Haus im Nesselwanger Feriendorf Reichenbach, stehen.
Isabel1
2. Oktober 2008 - 20:42
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Und so schee ists im Ländle ...
... wie man auf den Bildern sehen kann. Liebe Grüße aus Esslingen an das Wanderteam – mit Plattfüßen?
Isabel
ju
14. Oktober 2008 - 16:28
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Warum denn in...
...die Ferne schweifen, wenn das Glück liegt denn so nah?? ;-) Habe mit grossem Interesse Euren Wanderbericht gelesen!! Sehr schöne Bilder!!